Geschichtsweg Ostheim

Ostheims "Ruhrpott"

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    Ostheims "Ruhrpott"

    Vor etwa 5 Milliarden Jahren kreiste die Erde als glühender Ball um die Sonne. Langsam kühlte ihre Oberfläche ab und das in der Atmosphäre enthaltene Wasser kondensierte. Der Kern blieb flüssig. Wir befinden uns in dem Zeitraum der Erdgeschichte, den die Geologen Präkambrium nennen. In dieser erdgeschichtlichen Ära liegt die „Wiege des Lebens“.

    In den langen Jahrmilliarden, die seit damals vergangen sind, haben Ablagerungen, Vulkanausbrüche und Hebungen von Meeresböden Land aufgebaut; Überschwemmungen, Abtragungen und Gletscher es zerstörten oder umgeformten. Kontinente, von denen manche die komplette Landmasse ausmachten, bildeten sich und zerfielen wieder. An den Bruchstellen taten sich Ozeane auf – und schlossen sich wieder, wenn die Landmassen erneut zusammenstießen und Bergketten wie die Alpen bildeten. Seit etwa 20 Millionen Jahren ist uns der freie Blick zum Mittelmeer versperrt.

    Viele „bunte“ Einträge in den geologischen Karten Deutschlands belegen diese wechselvolle geologische Geschichte.[i]

    Hessen lag lange unter Wasser, wie einige Fossilienfunde zeigen. Panzerlurche, Haie, Krebse und Muscheln sind neben Nadelholzresten nur einige der Funde aus der Zeit vor etwa 250 Millionen Jahren (Perm), die in einem Steinbruch nahe der Naumburg entdeckt wurden. [ii]  Wechselvoll war, bedingt durch die Wanderung über die Breitengrade während der Millionen von Jahren, auch immer wieder das Klima in unserer Region. So lag Hessen für einige Zeit auf bzw. nahe dem Äquator. In dieser Zeit der Überflutung mit einem flachen Meer sowie den immer wiederkehrenden Austrocknungen entstanden die Salzlagerstätten bei Fulda.

    Nach und nach entwickelten sich die ersten primitiven Lebewesen weiter, zuerst nur im Wasser. Auch erste Gefäßpflanzen kamen auf, sie waren ebenfalls auf Wasser angewiesen. Aber es dauert nicht lange, unter geologischen Zeitmaßstäben, bis beide das Land zu erobern begannen.[iii] Die Pflanzen bildeten Wälder aus riesigen Farnen, Bärlapppflanzen und Schachtelhalmgewächsen. Diese Wälder sind der Ausgangspunkt für die Steinkohlelager zwischen Ruhr und Saar. Die Flöze enthalten einen Schatz an Fossilien, welche die Fülle der damaligen Flora und Fauna eindrucksvoll dokumentieren.

    Die Tierwelt neigte vorübergehend zum Gigantismus. Dinosaurier bevölkerten für mehrere Millionen Jahre die Kontinente und geben noch heute Stoff für Kinofilme her. Sie starben aus. Die einzigen überlebenden Nachfahren der Saurier sind die Vögel. [iv] Säugetiere übernahmen die frei gewordenen Nischen und begannen ihren Siegeszug. Die Plagegeister Fliegen und Mücken feierten im Jura, vor rund 200 Millionen Jahren, ihren Ursprung. In der Pflanzenwelt übernahmen die bedecktsamigen Pflanzen die Vorherrschaft. Die Bestäubung erfolgte nun auch durch Insekten, nicht mehr nur durch den Wind. Ein Vorgang wie er heute noch stattfindet und der für das Wachsen vieler unserer heutigen Nahrungsmittel unerlässlich ist. [v]

    Als sich die mittelamerikanische Brücke bildete und Nord- und Süd-Amerika verband, nahm der Golfstrom eine andere Richtung. Das Klima in Europa änderte sich. Grassteppen und Moore entstanden. Hessen lag damals etwa auf dem 40. Breitengrad, also etwa auf der geographischen Höhe, auf der heute Neapel und Rom liegen. Im Hanauer Becken, mit der tiefsten Stelle in der Hanauer-Seligenstädter-Senke, finden sich aus dieser Zeit Überreste eines tertiären Randmeeres. Haifischzähne und fossile Reste von z.B. Seeigeln, Muscheln, und Schnecken, wurden hier gefunden. In einer Tongrube bei Schöneck-Büdesheim fanden sich Rippen der Seekuh Halitherium. Weitere Überreste aus dieser Zeit wurden im Raum Altenstadt, Bruchköbel und Erlensee gefunden.[vi]

    Dieser Zeitraum vor etwa 2 Millionen Jahren (für Geologen „gestern“) ist der Ursprung der „hessischen“ Braunkohle. Sie entstand aus pflanzlichen Ablagerungen in Sumpf- und Moorgebieten, in die im damaligen subtropischen Klima große Baumstämme einsanken. Die Pflanzenteile verwandelten sich unter Luftabschluss, durch den Druck sich darüber ablagernder Schichten und sich erhöhende Temperatur in der Folge zu Kohle.

     

    Auch in Ostheim wurde kurzzeitig Kohle gefördert. Über die „Entdeckungsgeschichte“ wissen wir so gut wie nichts. In der „Zeitschrift für die Provinz Hanau: zur Aufklärung ihrer Geschichte, ihrer natürl. Beschaffenheit u. ihres Culturstandes, sowie d. diesem entgegenstehenden Hindernisse“ von 1839[vii]  berichtet Karl Arndt: „Auch die Gegend von Hanau und das Amt Windecken sind genötigt, einen großen Theil ihres Brennmaterials aus der Ferne und vom Auslande zu beziehen, und es musste die Auffindung eines solchen in dieser Gegend sehr große Vorteile gewähren. Es beschäftigte sich daher der Kaufmann Friedrich Kratzsch daher seit 1832 mit rastlosem Eifer mit Bohrversuchen, von Rüdigheim bis Roßdorf, bis endlich 1835 seine Bemühungen mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt wurden. Er fand nämlich an der Nordostseite von Roßdorf, dicht am Dorfe, ein Braunkohlenlager von 30 bis 36 Fuß[1] Mächtigkeit, welches mit einer Erdschicht von 100 bis 120 Fuß Dicke bedeckt ist. Im Jahre 1836 übernahmen die Herrn von Waitz zu Hanau und Kassel den Betrieb dieses Bergwerkes, und es werden jetzt von ihnen in 3 Schachten 80 Arbeiter beschäftigt, welche eine Ausbeute von 100 000 Zentnern liefern werden. Dieses Material kommt in einer dunkelbraunen, erdartigen Masse vor, worin sich nur einzelne Holztrümmer befinden. Dieselbe wird in den Sommermonaten zu Klötzen geformt, und in dieser Gestalt verkauft. Den kräftigsten und umsichtigsten Fortbetrieb dieses Bergwerkes verbürgen die Namen der Männer, welche es unternommen haben; und es ist als ein besonderes Glück anzusehen, dass es in die meistversprechenden Hände kam.“ Soweit der Bericht zu dem Braunkohlenbergwerk in Roßdorf, der alleine schon wegen seiner „blumigen“ Sprache lesenswert ist.

     

    Der Ostheimer Heinrich Jost berichtete in einer Chronik aus dem Jahr 1914, dass „Im Jahr 1838 […], links der Straße nach Windecken, ein reiche Ausbeute lieferndes Braunkohlenbergwerk eröffnet und bis Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts abgebaut [wurde].“

    Landau berichte 1842 in seiner „Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen“ von einem Braunkohlebergwerk südwestlich von Ostheim, in dem 1840 32 Arbeiter beschäftigt waren. Für das Werk in Roßdorf führt er 75 Arbeiter auf. Auch Philip Dieffenbach erwähnt die Bergwerke 1843 in seiner „Urgeschichte der Wetterau“: „Noch müssen wir der reichen Braunkohlenlager gedenken welche die gütige Natur der Wetterau zum Ersatze größerer Wälder als Brennmaterial darreicht, deren Dasein aber meist erst seit dem Anfange dieses Jahrhunderts bekannt ist und benutzt wird. Ausgezeichnete Braunkohlen werden besonders bei dem Hessenbrücker Hammer zu Tage gefördert. Andere Werke find zu Salzhaufen, Wölfersheim, Weckesheim, Dornassenheim, Dorheim, Bauernheim, Roßdorf und Ostheim.“[viii]

    Unterstellt waren die beiden gewerkschaftlichen Braunkohlebergwerke dem Bergamt zu Bieber, so weist es da Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staats-Handbuch auf das Jahr 1840 aus. Dort findet sich auf Seite 461 der Eintrag zu dem Bergamt Bieber in der Provinz Hanau: „Eisen-Berg-, Hütten- und Hammerwerke, auch Kobalt-Bergwerk des Staates zu Bieber. Gewerkschaftliche Braunkohlenwerke zu Roßdorf u. Ostheim und gewerkschaftliche Torfstechereien zu Großkrotzenburg, Großauheim, Bergen, Meerholz und Rüdigheim. Die Steinbrüche und Thongruben in einem gewissen Bezirke“.

     

    Verwendung fand die geförderte Kohle wohl vorwiegend ortsgebunden in den Ziegelbrennereien. Vielleicht ging auch das eine oder andere Stück zur Salzgewinnung in die Salinen der näheren Umgebung.

     

    Das diese Bergwerke durchaus Einfluss nahmen, zeigt ein Bericht zu den „Staatsstraßen und Verkehrspolitik in Kurhessen von 1815-1840“ aus dem Jahre 1931. Unser Dorf lag (damals) im Verkehrsraum, der Frankfurt mit Leipzig verband, aber auch über Fulda nach Oberhessen Anschluss hatte. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Windecker Straße erstellt. Sie führte von Hanau über Windecken zur großherzoglich-hessischen Grenze und nach Friedberg. 1816 begann man mit dem Bau einer Straße von Windecken nach Friedberg und weiter nach Darmstadt. Kein einfaches Unterfangen, da drei Hessen daran beteilig waren (Kurhessen, Darmstadt und das Großherzogtum). Aber 1825 war es geschafft. Die Anbindung an die Straße nach Nürnberg (Birkenhainer Straße) erhöhte den Wert für den Handelsverkehr. Hauptsächlich Holz, Steingut, Getreide und ähnliches wurde transportiert. Einen Einbruch im Transportvolumen erlitt die Straße 1839. „[…] Die bedeutend geringere Einfuhr im Jahre 1839 wurde auf die Auffindung von Torfstichen in der Nähe von Hanau zurückgeführt. Auch waren im Hanauischen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zwei Braunkohlenzechen in Betrieb genommen worden, die beide in der Nähe der Windecker Straße lagen. In der einen, bei Roßdorf, wurden 1840 etwa 4 000, in der anderen, bei Ostheim, 2 500 Tonnen gefördert. […]“[ix][x]

     

    Über das Ende des Bergbaues in Ostheim sagt Heinrich Jost: „Die Lagestätte hatte z.T. bis zu 4 Meter Mächtigkeit, sie musste jedoch wegen mangels an ausreichender Wasserförderung wieder verlassen werden.“

    Was von allem blieb, ist nur ein Straßenname „Am Bergwerk“. Einer der Eingänge zu den Stollen lag wohl etwa dort, wo sich heute der Kindergarten „Maria S. Merian“ befindet.[xi]

     

    Auf eine Erklärung, worin der Unterschied zwischen Stein- und Braunkohle besteht, muss an dieser Stelle verzichtet werden.

     


    [1] 1 („preußischer“) Fuß sind etwa 31 cm.


    [i] Asch, K., Lahner, L., & Zitzmann, A. (2003). Die Geologie von Deutschland – ein Flickenteppich. In Leibniz-Institut für Länderkunde (Hrsg.), Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland (S. 32-35). Heidelberg. Jungmann, W., & Brückner, H. (2005). Die geologisch-geomorphologischen Grundlagen Hessens. DBGes, 105, S. 7-11.

    [ii] Müller, K. H. (1984). Geographische Grundlagen Hessens. In LAGIS (Hrsg.), Geschichtlicher Atlas von Hessen (S. 1-18). Marburg.). Eberle, J., Eitel, B., Blümel, W., & Wittmann, P. (2010). Deutschlands Süden vom Erdmittelalter zur Gegenwart (2. Ausg.). Heidelberg). Häuser, F. (1954). Die Hanau-Seligenstädter Senke und ihre Randgebiete, Geologie und Tektonik. Hanau. Reichert, H. (1953) Leitfossilien IV. (Dt. Zentralinst f. Lehrmittel, Hrsg.) Berlin. S.1, 9. Staesche, K. (15. Oktober 1964). Übersicht über die Fauna des deutschen Rotliegenden (Unteres Perm). Stutt. Beitr. Naturk., S. 1-12. S. 1, 6f.  Storch, V., Welsch, U., & Wink, M. (2013). Evolutionsbiologie (3. Ausg.). Berlin. S. 142, 144, 192. Fritsch, A. (1901). Fauna der Gaskohle und der Kalksteine (Bd. 4/1 Arthropoden). Prag. Sohn, I. G. (1960). Paleozoic Species of Bairdia and Related genera. Washington. Schaal, S., & Ziegler, W. (Hrsg.). (1988). Messel. Frankfurt. Kümmerle, E., Radtke, G. (2012) Die Fossilien des Tertiärmeeres im Hanauer Becken. Jber. Wett. Ges. ges. Naturkunde, 162, S. 59-77. S. 59.  Prinz-Grimm, P. (2012). Das Tertiär - die dritte Ära. Jber. Wett. Ges. ges. Naturkunde, 162, S. 1-20. S. 13.   www.hlug.de/?id=6659. nidderau.bemap.eu/data/html/Naturdenkmal-Steinbruch.html.  www.mineralienatlas .de/?l=32685

    [iii] Campbell, N., & Reece, J. (2009). Biologie (8. Ausg.). (A. Kratochwil, R. Scheibe, H. Wieczorek, Hrsg., T. Lazar, M. Niehaus, S. Vogel, & C. Wink, Übers.) Hallbergmoos. S. 811ff. Eberle, J., Eitel, B., Blümel, W., & Wittmann, P. (2010). Deutschlands Süden vom Erdmittelalter zur Gegenwart (2. Ausg.). Heidelberg). S. 5

    [iv] Storch, V., Welsch, U., & Wink, M. (2013). Evolutionsbiologie (3. Ausg.). Berlin S. 173. Bollen, L. (2007). Der Flug des Archaeopteryx. Wiebelsheim. Mayr, G. (2013). Evolution der Vögel. In V. Storch, U. Welsch, & M. Wink, Evolutionsbiologie (S. 177-182). Berlin. Mayr, G., Pohl, B.  & Peters, D. (2005). A well-preserved Archaeopteryx Specimen with therapod features. Science, 310, S. 1483-1486.Xing Xu, et al. (2011). Zhonghe  Zhou. (2004). An Archaeopteryx like therapod from China an the origin of Avialae. Nature, 475, S. 465-470. Bezzel, E., & Prinzinger, R. (1990, 2. Aufl.). Ornithologie. Stuttgart. S. 415ff. Gill, F. B. (2007). Ornithology (3. Ausg.). New York. S. 3ff. Wink, M. (2013) Ornithologie für Einsteiger. Berlin. S. 141ff

    [v] Offenberger, M. (2014). Symbiose. München. Offenberger, M. (Juni 2016). Mehr als die Summe. Natur, S. 36-41.

    [vi] Kümmerle, E., Radtke, G. (2012). Die Fossilien des Tertiärmeeres im Hanauer Becken. Jber. Wett. Ges. ges. Naturkunde, 162, S. 59-77. S. 59.  Prinz-Grimm, P. (2012). Das Tertiär - die dritte Ära. Jber. Wett. Ges. ges. Naturkunde, 162, S. 1-20. S. 13.

    [vii] Zeitschrift für die Provinz Hanau: zur Aufklärung ihrer Geschichte, ihrer natürl. Beschaffenheit u. ihres Culturstandes, sowie d. diesem entgegenstehenden Hindernisse, Band 1, 1839, S. 89

    [viii] Dieffenbach, Philip (1843). Zur Urgeschichte der Wetterau. S. 12

    [ix] Landau, Georg. (1842). Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen. S. 591, 583

    [x] Wohlheim, S. (1931). Staatsstraßen und Verkehrspolitik in Kurhessen von 1815-1840. (E. E. Stengel, Hrsg.) Schriften Inst. f. gesch. Landeskunde v. Hessen u. Nassau. S. 54ff, 60, 72.

    [xi] Brodt, Gerd. (2016). Braunkohlenbergbau in Ostheim. In Nidderauer Hefte Band 15. Nidderau – Stadt mit geschichtlicher Vielfalt. S. 100.