Sie wussten es. Sie wussten es nicht. Sie wollten es nicht wissen. Sie schauten weg. Sie schwiegen. Was ist passiert mit den jüdischen Nachbarn? „Ich weiß es nicht“, antwortete die Oma, „aber als der Hitler das mit den Juden gemacht hatte, wollte ich von ihm nichts mehr wissen.“ Der Dialog mit der eigenen Großmutter war einer von vielen bewegenden Momenten des Vortrags von Alexander Brodt-Zabka. Sein „kleiner Dorfspaziergang im November 1938“ verfolgte die Schicksale der jüdischen Mitbürger entlang einer Spur der Verwüstung vom zertrümmerten Haus am Adolf-Hitler-Platz Ostheim zur brennenden Synagoge Windecken.
Der Vortrag von Brodt-Zabka, gebürtiger Ostheimer und Pfarrer in Berlin, im Bürgerhaus Ostheim bildete den Abschluss der Veranstaltungen der Stadt Nidderau zum 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht. Zuvor war mit Kranzniederlegungen an den ehemaligen Synagogen, einem Spaziergang zu den Stolpersteinen und einem Gottesdienst mit Pfarrerin Heike Käppeler den Opfern der NS-Diktatur gedacht worden.
Bürgermeister Andreas Bär wertete den großen Zuspruch – allein mehr als 70 Menschen, darunter Stadtverordnetenvorsteher Jan Jakobi und Ostheims Ortsvorsteher Klaus Mehrling, waren zum Vortrag gekommen – als „überwältigendes Zeichen für die lebendige Erinnerungskultur in Nidderau“. An die Menschen zu erinnern, die vertrieben, verschleppt, misshandelt und ermordet wurden, sei ein wichtiger Beitrag, Hass und Rassismus einzudämmen.
„Wir tragen keine Verantwortung für die Taten von damals, aber wir haben eine Verantwortung, das zu erzählen“, sagte Pfarrer Brodt-Zabka und erzählte von Wilhelm Katz, Mitbegründer des FC Sportfreunde Ostheim, der nicht vergessen, aber sich versöhnen konnte. Er berichtete von Ermordungen im KZ Buchenwald und von geglückten Fluchten. Er schilderte die vom SA-Führer angeordneten „Aktionen“, die Jugendliche zur Gewalt gegen Juden animierten. Und Brodt-Zabka verlies die nüchtern-zynische Meldung des Bürgermeisters an den Landrat vom 9. Juni 1942, dass die „Evakuierung beendet“ und die Gemeinde Ostheim „vollkommen judenfrei“ sei. Kurz zuvor war das Ehepaar Levy ins KZ deportiert worden.
„Wir müssen über die reden, die die Taten begangen haben. Die Scham muss die Seiten wechseln“, appellierte Brodt-Zabka. Der Blick müsse sich auf die richten, die andere Menschen aufgrund ihres Anders-Seins stigmatisieren, gleichgültig, ob es sich um Ethnie, Religion oder Sexualität handelt. „Es geht um das ‚Nie wieder‘, und ‚Nie wieder‘ ist jetzt.“
Was haben die Pfarrer am Sonntag nach dem 9. November 1938 gepredigt? Am Ende einer Woche, in der nicht nur in Nidderau die Synagogen brannten, Friedhöfe geschändet wurden und die Gewalt gegen jüdische Mitbürger ein erstes Aufflammen erlebte. Die Frage von Alexander Brodt-Zabka blieb unbeantwortet.
Magistrat der Stadt Nidderau
11.11.2025
Andreas Bär
Bürgermeister


